Wo sind all die Vögel hin?

NABU: „Vogelmangel“ an Futterhäusern hat mehrere Ursachen

Wetzlar – In den letzten Wochen erreichen den NABU Hessen viele besorgte Anfragen aus dem ganzen Bundesland, weil vor allem typische Gartenvogelarten wie Meisen, Finken und Amseln verschwunden seien. „In der Tat sind derzeit relativ wenige Vögel zu sehen“, sagt NABU-Vogelexperte Maik Sommerhage. „Eine einfache Erklärung für dieses Phänomen gibt es nicht. Die Einflüsse auf Vogelbestände sind nämlich vielfältig und komplex.“ Der NABU geht von drei Ursachen des aktuellen „Vogelmangels“ aus: die vergleichsweise milde Witterung, noch ausstehende Wintergäste und die Folgen einer schlechten Brutsaison 2016. Langfristig wirken vor allem die Intensivierung der Landwirtschaft und der damit verbundene gesteigerte Pestizideinsatz. 

 

Solange Eis und Schnee ausbleiben, finden viele Vogelarten ausreichend Nahrung und sind nicht gezwungen, Futterhäuschen in Gärten aufzusuchen. Zudem sind viele Wintergäste, die sonst in großer Zahl unsere Gärten und Wälder bevölkern, noch nicht eingetroffen. Dazu gehören zum Beispiel nordische Kohlmeisen, Gimpel, Zeisige sowie Buch- und Bergfinken. Die Hauptursache für den „Vogelmangel“ sieht der NABU in einem schlechten Brutergebnis mit weniger überlebenden Nachkommen als in anderen Jahren. „Gerade Arten, die wir am Futterhaus erwarten, scheinen dieses Jahr weniger Nachwuchs durchbekommen zu haben“, sagt Sommerhage. Die Hinweise mehren sich, dass viele Bruten in Baumhöhlen und Nistkästen nicht ausgeflogen sind. Bei der Erklärung des schlechten Brutergebnisses dürfte die nasskalte Witterung im Frühjahr eine wichtige Rolle spielen. 

 

Nicht zu unterschätzen sind aber weitere Faktoren wie die zunehmend intensivierte Landwirtschaft oder der Einsatz von Pestiziden wie Neonicotinoide, die die Lebens- und Ernährungsbedingungen von Wildvögeln dramatisch verschlechtern. Gerade der auffällige Mangel an Fluginsekten kann vielen Vogelarten besonders in kritischen Phasen wie einem nasskalten Frühjahr zusätzliche Nachteile bringen. „Nahezu alle Singvögel sind in der Fortpflanzungsphase auf Insektennahrung angewiesen“, erläutert Sommerhage. „In Europa leben heute rund 450 Millionen Vögel weniger als noch vor drei Jahrzehnten und die Roten Listen werden immer länger“. Um den qualitativen und quantitativen Verlust der Vögel aufzuhalten oder gar wieder umzukehren, reichten die bisherigen Anstrengungen der Politik zum Schutz der Biodiversität und insbesondere der Vögel nicht aus. 

 

Infektionskrankheiten dürften für den „Vogelmangel“ nur eine untergeordnete Rolle spielen. „Der Ausbruch des Usutu-Virus im Spätsommer hat allenfalls lokal die Amselbestände reduziert“, ist die Einschätzung des NABU-Vogelfachmanns. Ebenfalls lokale Auswirkungen hat ein Erreger, der das Finkensterben vor allem bei Grünfinken verursacht. Die Vogelgrippe scheidet bei Gartenvögeln als Ursache weitgehend aus. 

 

„Wir verfolgen die Entwicklung weiterhin kritisch. Und wir sind gespannt auf die Ergebnisse der großen Wintervogelzählungen Anfang Januar“, betont Sommerhage, und ruft alle Naturfreunde zur Teilnahme auf.